"Der erste Flug, und ich habe nichts mitbekommen"

Maria Lenger war eine der Patientinnen, die wegen der Corona-Lage verlegt werden musste - nach Hamburg

Gemeinsame Freude über den großen Genesungsfortschritt: Maria Lenger bei der Visite durch den Leiter der Intensivmedizin, Dr. Thomas Riedel, bei der auch Tochter Sonja Gring (rechts) die neuesten Informationen über den Gesundheitszustand ihrer Mutter erhielt.

Eggenfelden. „Ich hatte nicht gewusst, dass die Menschen in Hamburg so nett sein können – aber ich war ja auch vorher noch nie so weit im Norden“: die 87-jährige Maria Lenger aus Kirchdorf a. Inn lacht, als sie diese Anmerkung macht – dass sie aber überhaupt noch lachen kann, ist ein kleines Wunder. Das hat seine Wurzeln im Können der Medizin, aber ebenso in der Lebenskraft dieser Frau, die jetzt, mit nur noch einer kleinen Sauerstoff-Unterstützung, in einem Klinikbett in Eggenfelden liegt.

Maria Lenger fühlte sich im November schon ein paar Tage nicht gut, ein „bisserl grippisch“ sei sie gewesen, erzählt sie heute. Doch die Symptome wurden schlimmer, sie war sichtlich krank, nahm sich dann auch vor, den Hausarzt aufzusuchen, aber dazu kam es nicht mehr: ihre fünf Töchter waren sich einig, dass der Notarzt zu holen sei, zu groß waren die Atemprobleme der Mama geworden. Dann ging es schnell: der Notarzt kam, die Diagnose stand schnell fest: „Unsere Mama hatte sich mit dem Corona-Virus infiziert, die Symptome verschlimmerten sich rasch, sie musste sofort mit dem Rettungswagen nach Eggenfelden in die Klinik gebracht werden“. Die Angst war groß bei den Kindern von Maria Lenger, sie machten sich heftige Sorgen um ihre Mama und die waren auch nicht unbegründet: in der Klinik sei die Patientin sofort in der Intensivabteilung aufgenommen worden, sie wurde mit Sauerstoff über eine Gesichtsmaske versorgt, berichtet der Leitende Arzt der Intensivstation Dr. Thomas Riedel. Doch diese Sauerstoffgaben reichten bald nicht mehr aus, die entsprechenden Werte wurden schlechter, die Ärzte mussten eine Entscheidung treffen: „Wir mussten invasiv beatmen, der Körper wird also durch einen eingeführten Beatmungsschlauch mit Sauerstoff versorgt, die Patientin wird deshalb in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt“, schildert der erfahrene Mediziner die Vorgehensweise. Nach vier Tagen war dann sogar noch ein Luftröhrenschnitt nötig, um die Zuführung von Atemluft zu verbessern, so konnte der Zustand von Maria Lenger stabilisiert werden.

Doch dann die nächste Schwierigkeit: die Intensivstation der Rottal-Inn Kliniken kam an ihre Grenzen, neue akute Fälle waren angekündigt. „Wir mussten also Patienten, die stabil genug waren, in andere Kliniken verlegen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bayern das sogenannte Kleeblatt-Konzept zur strategischen Verlegung von Intensivpatienten mit der Stufe Rot aktiviert. Somit bestand die Möglichkeit, Patienten auch überregional zu verlegen“, erklärt Dr. Riedel das Vorgehen. Die Koordination, welches Bundesland noch Kapazitäten hat, in welches Krankenhaus die Patienten kommen können und welche Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen, hat bestens funktioniert. Wir haben dabei hervorragende Unterstützung durch die für die Region zuständigen Krankenhauskoordinatoren, Dr. Andreas Baumann und Dr. Wolfgang Stuchlik erfahren“ lobt Dr. Thomas Riedel. Nachdem die organisatorischen Hürden gemeistert waren, wurden die Angehörigen von Maria Lenger informiert und die Situation mit ihnen durchgesprochen. „Wir erklärten unsere Beweggründe für die Verlegung und schilderten die genaue Vorgehensweise. Das sind keinesfalls leichte Gespräche, aber sie müssen nachvollziehbar sein, denn das Vertrauen der Angehörigen in unsere Arbeit ist mir äußerst wichtig“, betont der Arzt.

Von den Töchtern kam dann die Zustimmung und so wurde Maria Lenger, die von alledem nichts bewusst miterlebte, mit einem Intensivtransportwagen zum Münchner Flugplatz gefahren. Sie war an diesem Tag nicht die einzige Patientin, die verlegt wurde, insgesamt fünf Personen wurden aus unserer Region verlegt. Transportmittel war eine Transall-Maschine der Bundeswehr, die als „fliegende Intensivstation“ eingerichtet ist. Für Maria Lenger ging der Flug nach Hamburg, in der Klinik Hamburg-Barmbeck wurde sie auf die dortige Intensivstation gebracht. „Das war mein erster Flug und ich habe gar nichts davon mitbekommen“, kann die Seniorin heute scherzen. Und auch in der Klinik im hohen Norden war sie ja nicht gleich wach, im Gegenteil: über Tage blieb sie im Tiefschlaf, bis sich ihr Körper soweit erholt hatte, dass man sie langsam, aber sicher aus diesem Zustand wieder herausholen konnte. „Ich bin aufgewacht und habe erfahren, dass ich nicht mehr in Eggenfelden bin, sondern in Hamburg“, berichtet sie.

Es war wohl der Umstand, dass sie tatsächlich einen fast unerschöpflichen Lebensmut hat, der ihr jetzt geholfen hat – und natürlich auch das Wissen, dass ihre Kinder und Enkelkinder in Gedanken immer bei ihr waren und dass ihr geliebter Ehemann Johann schon sehr auf sie wartete. Ihre Töchter hatten der Mama Fotos in die Tasche gepackt, die sie auf den weiten Weg begleiteten, „die lieben Menschen in der Hamburger Intensivstation haben sie an meinem Bett aufgehängt, so hab ich meinen Johann und meine Töchter und die ganze Familie immer in Blick gehabt“ , sagt die sympathische Frau mit einem Lächeln um die Augen.

Und ihre Töchter machten noch etwas möglich: Sonja, Anita, Bernadette, Johanna und Evi hatten ja schon zur Zeit, als ihre Mutter noch in der Eggenfeldener Klinik lag, eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet, denn Tochter Anita, von der die Kommunikation mit der Klinik geführt wurde, konnte alle Neuigkeiten schnell an die Schwestern weitergeben. Jetzt ermöglichte die Technik aber vor allem einen Videoanruf, der Maria Lenger ihren Ehemann Johann auf den Bildschirm holte, „das hat mich schon sehr gefreut“, sagt sie heute und da sieht man dann schon auch etwas Rührung in ihrem Gesicht. Einige Tage, nachdem sie aus dem künstlichen Tiefschlaf geholt wurde, konnte Maria Lenger dann die Nachricht erhalten, auf die sie schon gewartet hatte: „Die Schwestern haben mir gesagt, dass es zurückgeht in die Heimat Niederbayern“, erzählt sie. Ganz besonders erinnert sie sich an die Freundlichkeit des Teams in der Hamburger Klinik: „Alle haben sich mit mir gefreut, als ich in den Krankenwagen gebracht wurde, standen sie im Halbkreis am Wagen und haben mich verabschiedet, das war so lieb und rührend, ich hätte selbst schon fast geweint“, beschreibt sie ihren Abschied vom hohen Norden, aber sie sagt auch: „Hier in Eggenfelden werde ich ebenfalls so nett und kompetent betreut, ich kann die Menschen, die hier arbeiten, nur loben, die machen das hervorragend und sind immer freundlich“. Und sie mag diese Freundlichkeit, das liegt vielleicht auch an den langen Jahren, in denen sie als Servicekraft in der Gastronomie gearbeitet hat: „Die freundlichen Leute waren mir immer die liebsten Gäste“.

Neun Stunden brauchte der Krankenwagen von Hamburg nach Eggenfelden, „ich war schon bequemer unterwegs“, sagt Maria Lenger und sie schmunzelt wieder. Jetzt soll sie, so sagt Dr. Riedel, baldmöglichst in eine Rehabilitations-Klinik kommen, damit ihre Kräfte zurückkehren. „Ich bin schon gespannt, ich war noch nie auf einer Reha, aber es wäre schön, wenn es diesmal nicht so weit weg geht, Bayern ist halt doch meine Heimat“, kommentiert Maria Lenger und der Arzt verspricht ihr, alles dafür zu tun, dass sie in der Nähe ihrer Heimat bleiben kann. Und wenn alles vorbei ist, dann will die rüstige Dame baldmöglichst wieder nach Hause. „Unsere Mama ist eine Frau, die so weit wie möglich alles selbst macht“, bestätigt ihre Tochter Sonja Gring. Ein sehr großer Garten, das Haus – sie kümmert sich am liebsten selbst um alles, aber sie weiß auch: „Wenn ich Hilfe brauche, dann ist die Familie da“.

Die Töchter sind alle erleichtert, dass es der Mutter wieder besser geht. Und weil Maria Lenger vorher nicht geimpft war, soll sie das so bald wie möglich nachholen, so wie ihr Johann, der in ein paar Tagen seinen Impftermin beim Hausarzt hat. „Ich bin den Menschen, die mir geholfen haben, den Ärzten, den Pflegekräften und meiner Familie, unendlich dankbar – sie haben mich gerettet“, sagt Maria Lenger heute und man merkt ihr an, dass sie glücklich darüber ist, dass sie eine schlimme Situation überstanden hat.