Der tägliche Kampf um Menschenleben

Seit Wochen kämpft Rottal-Inn gegen die vierte Corona-Welle. Besonders angespannt ist die Lage nach wie vor in den Rottal-Inn Kliniken

Zehn Covid-19-Patienten werden derzeit rund um die Uhr in der Intensivstation am Krankenhaus Eggenfelden versorgt. Pflegeleiter Alexander Bernhart (r.) und Intensivpflegerin Lisa Gruber tragen eine spezielle Schutzkleidung, um sich vor einer Ansteckung zu schützen.

Eggenfelden. "Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, darf man den Kopf nicht hängen lassen." Dass Alexander Bernhart nach über eineinhalb Jahren an der Corona-Front noch nichts von seiner Energie eingebüßt hat, ist bewundernswert. Denn der Pflegeleiter der Intensivstation am Krankenhaus Eggenfelden müsste angesichts der dramatischen Zustände bereits die weiße Fahne gehisst haben. Doch der 35-Jährige und sein 60-köpfiges Team lassen sich nicht unterkriegen und kämpfen in drei Schichten, 24 Stunden am Tag, um jedes Menschenleben.

Die vierte Welle hat die Rottal-Inn Kliniken wie ein Tsunami erfasst. "Wir laufen voll und haben keinen freien Platz mehr auf der Intensivstation." Diesen Satz hört man seit über sechs Wochen leider allzu oft, wenn man mit Ärzten oder Pflegern spricht. Daher müssen schwer kranke Covid-Patienten immer wieder verlegt werden, um die medizinische Versorgung überhaupt noch aufrechtzuerhalten. Bislang waren es 15 Intensivpatienten an der Zahl. Konnten die ersten Transporte noch mit den Rettungswagen gestemmt werden, mussten dann auch Hubschrauber in Eggenfelden landen. Da sich das Virus auch im restlichen Deutschland immer stärker ausbreitet, werden die Entfernungen zu den Kliniken, die überhaupt noch Patienten aufnehmen können, immer größer.

Mittendrin im Epizentrum ist Alexander Bernhart. Er muss mit ansehen, was das Virus innerhalb kürzester Zeit mit einem Menschen macht. Wie es die Lunge oder andere Organe wie Niere befällt und schädigt. Wer durch die automatische Schiebetüre zu ihm in die Intensivstation geschoben wird, dem geht es schlecht. Sehr schlecht. "Wenn die Sauerstoffversorgung über eine Maske nicht mehr ausreicht, dann müssen wir intubieren", erklärt der Intensivpfleger. Der Patient wird in ein künstliches Koma versetzt und über einen Schlauch beatmet.

Dafür ist hochmoderne Apparatur notwendig. Doch mit den teuren Spezialmaschinen allein wird der Kampf gegen Corona nicht gewonnen. Es braucht qualifiziert ausgebildetes Personal, das die Geräte überhaupt bedienen kann. Denn die Beatmung der Lunge ist eine diffizile Sache: Stimmt die Sauerstoffsättigung im Blut nicht, führt dies zu einem Mangel an Sauerstoff und somit zu schweren Schädigungen an vielen Organen. Ebenso muss die künstliche Beatmung genauestens überwacht und kontrolliert werden, da diese Therapie auch viele Komplikationen birgt. "Mit unserem Team können wir derzeit 14 Intensivpatienten versorgen. Mehr geht nicht", sagt der 35-jährige Gangkofener. "Der Flaschenhals ist das Personal", wie auch Gesundheitsminister Klaus Holetschek in diesem Zusammenhang immer wieder betont. Damit die deutliche Zunahme des Arbeitsaufwandes gestemmt werden kann, erhalten die Mitarbeiter der Intensivstation Unterstützung von der Anästhesieabteilung und von anderen Abteilungen. "Dafür sind wir sehr dankbar", sagt Bernhart. Überhaupt betont er im Gespräch mit der Heimatzeitung immer wieder, wie hervorragend der Zusammenhalt in diesen schweren Zeiten an der Klinik ist.

"Ich bin sehr stolz auf mein Intensivteam und auf die gute Zusammenarbeit aller Berufsgruppen hier." Denn auch Ärzte und Pfleger aus anderen Fachbereichen packen mit an bei der Versorgung der derzeit insgesamt 60 Corona-Patienten in den Krankenhäusern Pfarrkirchen und Eggenfelden. "Ohne dieses Engagement wäre die Lage schon lange nicht mehr zu bewältigen", fügt Ärztlicher Direktor Dr. Klaus Kienle hinzu.

Denn die intensivmedizinische Versorgung von Covid-Patienten ist viel aufwendiger. So gehört zur Therapie die Bauchlagerung. Dadurch werden andere Teile der Lunge belüftet. Dieser Vorgang ist jedoch sehr personalintensiv. "Um einen Patienten zu wenden, sind je nach Körpergewicht bis zu vier Pfleger und ein Arzt nötig", erklärt Alexander Bernhart. "Außerdem ist der Moment der Umlagerung nicht ungefährlich, da Corona-Patienten sehr fragil sind", ergänzt Dr. Thomas Riedel, Ärztlicher Leiter der Intensivstation. Weder der Beatmungsschlauch noch die anderen lebensnotwichtigen Zugänge dürfen versehentlich entfernt werden. "Daher dauert die Umlagerung pro Patient ungefähr 30 Minuten", erklärt Bernhart. Nach 24 Stunden wird dann wieder auf die andere Seite gedreht. "Zusätzlich müssen die Arme und Beine immer wieder bewegt werden, um Hautschäden zu vermeiden." Sowohl die psychische als auch die physische Belastung für die Pflegerinnen und Pfleger ist seit Beginn der Pandemie enorm. "Nach einer Acht-Stunden-Schicht ist man fix und fertig. Da macht man zu Hause nicht mehr viel", spricht Bernhart für sich und seine Kollegen. Der 35-Jährige findet beim Lesen die nötige Erholung vom stressigen Klinikalltag. "Es geht schon an die Substanz, wenn man zwei bis drei Stunden am Stück am Patienten ist und nicht einmal etwas trinken kann." Denn unter der Schutzausrüstung werde es schon sehr heiß.

Bereits die erste Welle sei sehr hart gewesen, sagt Bernhart. Zum einen hatte man es mit einem noch unbekannten Virus zu tun. Obendrein mussten viele Covid-19-Patienten intensivmedizinisch versorgt werden. Als sich das Infektionsgeschehen im Sommer 2020 beruhigte, bedeutete dies aber keine Entspannung auf der Intensivstation. "Wir hatte keine Pause. Denn nun standen zahlreiche Operationen an, die wegen Corona verschoben werden mussten." Und im Herbst folgten schon Welle zwei und drei. Auch nach über eineinhalb Jahren hat das Virus seine Gefährlichkeit noch nicht verloren. Daher ist der Eigenschutz nach wie vor wichtig. "Es dauert schon seine Zeit, bis man Kittel, Maske, Brille und Handschuhe angezogen hat", erzählt Bernhart. Ob er Furcht hat vor einer Ansteckung? "Ich verspüre zwar keine Angst, aber ich begegne Corona mit sehr viel Respekt", so der 35-Jährige, der mittlerweile seine Booster-Impfung bekommen hat.

Während er und sein Intensivteam in Eggenfelden einen vollständigen Impfschutz haben, sind 70 Prozent der Covid-19-Patienten auf Intensiv ungeimpft. "Darunter sind insbesondere jüngere Patienten. Der Jüngste ist gerade einmal 21 Jahre", so Bernhart. Warum das Durchschnittsalter der Intensivpatienten auf mittlerweile 60 Jahre gesunken ist, liege an der Delta-Variante. "Dieser Typ ist viel aggressiver", so die Erfahrung des Intensivpflegers. Viele Jüngere hätten dies unterschätzt. Daher hört er von seinen ungeimpften Patienten den Satz "Hätt’ ich mich doch impfen lassen" sehr oft. Aus diesem Grund spricht er sich für eine Impflicht ab 18 Jahren aus. Bei den übrigen Patienten handelt es sich meist um ältere Menschen, deren Impfschutz schon nachgelassen hat. "Daher hätte man schon viel früher mit den Auffrischungen beginnen müssen", kritisiert Klinik-Vorstand Gerhard Schlegl.

Natürlich gibt es für den Leiter der Intensivpflege und seine Mitarbeiter immer wieder Momente, die sehr deprimierend sind. "Wenn zum Beispiel ein Covid-Patient stirbt, der eigentlich gute Aussichten hatte, dann ist das schon sehr niederschmetternd", erzählt der 35-Jährige. Auf der anderen Seite ist es sehr motivierend, wenn es Schwerkranke doch schaffen, obwohl die Chancen sehr schlecht standen. "Wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen von unseren ehemaligen Patienten", freut sich Bernhart. Überhaupt tun ihm und seinem Team die Wertschätzung aus der Bevölkerung in dieser schwierigen Situation sehr gut. "Wir bekommen immer wieder Süßigkeiten oder Dankeskarten geschickt." Und auch das hilft, dass der Leiter der Intensivpflege und seine Mannschaft den Kopf nicht hängen lassen.